„Nur mehr“ eine letzte Qualifikationsrunde trennt die FIVERS WAT Margareten von einer seit Jahrzehnten von Österreichs Handballsport nicht mehr erlebten Sensation. Als erstes Team seit langem könnte der Wiener Traditionsklub in die Gruppenphase eines europäischen Klubbewerbs einziehen. Der Weg dorthin ist aber ein langer, denn BM Benidorm aus Spanien, dem Land des amtierenden Europameisters steht dem entgegen. Das Hinspiel zum Showdown gibt es am Dienstag, 22.9.2020 ab 20:40 Uhr live auf ORF SPORT+.
Copyright Titelbild und alle Fotos: Eva Manhart | Agentur DIENER
AUSGERECHNET DIE FIVERS würden sich so manche österreichische Handballfans denken, wenn die Sensation in den nächsten zwei Wochen tatsächlich zur Realität würde. Die Wiener mit mehr als 125 Jahren Stammsitz in Wien Margareten verzichteten aus freien Stücken seit 2011 auf die Teilnahme an internationalen Klubbewerben. Dieser Verzicht ging einher mit zentralen Bausteinen der Vereinsphilosophie: Respekt und Verantwortung gegenüber jenen, die Unterstützung brauchen. Und das sind im Denken und Tun der FIVERS in erster Linie die rund 250 Kinder und Jugendlichen, die bei den FIVERS mit großem Engagement Handball spielen, Handball leben und lieben.
Die Entscheidung für den Verzicht auf das „internationale Geschäft“ (das im Handball in weiten Bereichen keines ist) wurde in der Saison 2012/13 gefasst. Aufgrund der Erfolge im Nachwuchsbereich wurde die Idee geboren, mit einem Nachwuchsteam in Österreichs zweithöchster Liga anzutreten. Bereits ein Jahr später qualifizierte man sich mit „Youngsters“ unter 20 Jahren für die damalige Bundesliga, heute spusu CHALLENGE, und ist dadurch seither als einziges Team österreichweit in beiden höchsten Handball-Ligen Österreichs dabei. Damals mit dabei: Kristian Pilipovic, Tobias Wagner, Nikola Bylik, Marin und Ivan Martinovic und seither viele mehr. Klingelts? Der simple Hintergedanke des FIVERS Masterminds: In der zweiten Liga sollen Eigenbauspieler sehr jung Schritt für Schritt an den Leistungshandball herangeführt werden. Die dafür notwendige technische Ausbildung wird bereits viel früher erworben, in den eigentlichen FIVERS-Nachwuchsteams, beginnend bei den Miniminis mit vier bis fünf Jahren. All das kostet Geld: Rund ein Drittel des gesamten FIVERS-Budgets wird in die Nachwuchsarbeit bis hin zur spusu CHALLENGE investiert. Einen Großteil dieses Drittels hätte man Jahr für Jahr benötigt, um im „internationalen Geschäft“ präsent zu sein. Und das war wirtschaftlich lange nicht darstellbar.
FIVERS-KONZEPT GEHT AUF. Dass nun knapp zehn Jahre nach dem ersten Verzicht die FIVERS überhaupt die Chance auf den Einzug in die Gruppenphase der EHF European League 2020/21 haben, ist zwei Fakten zu verdanken. Im sportlichen Bereich können jene Früchte geerntet werden, die in den letzten Jahren gesät wurden. Jene FIVERS, die den haushohen und mit umfassenden finanziellen Mitteln ausgestatteten Favoriten Benfica Lissabon völlig überraschend mit einem Gesamtscore von 64:62 aus dem EHF-Bewerb geworfen haben, sind zu einem überwiegenden Ausmaß Spieler aus dem eigenen Nachwuchsbetrieb. Zum Meisterschaftsabbruch während des COVID-Lockdowns befand man sich unangefochten auf Platz 1 der Tabelle, für das Cup-Final-4 hat man sich schon vorher qualifiziert. Außer Spesen nichts gewesen, wurde vielerorts tituliert. Anlass genug für das FIVERS-Management intensive Gespräche mit möglichen Finanzierungspartnern für die erstmalige Teilnahme am internationalen Klubbewerb zu führen. Zentrales Argument: Wir brauchen ein Ausrufezeichen, dass der österreichische Handballsport lebt und damit auch, dass die Welt sich trotz Covid weiterdreht. Ein kleines Wunder: Die Argumente trugen Früchte, die FIVERS spielen dank der Unterstützung ihrer Sponsoren international, ohne dass irgendwelche Einbrüche im Nachwuchskonzept drohen.
BM BENIDORM KLARER FAVORIT. Der Club Balonman Benidorm aus der spanischen Liga Asobal geht als klarer Favorit in diese letzte Runde vor der möglichen Sensation. Jede andere Einschätzung zu den Chancen der FIVERS wäre absurd. Auch wenn die Spanier gegenwärtig nicht zu den europäischen Topteams zählen, kommen sie aus dem Land des Europameisters. Über verfügbare Budgets im Vergleich zu nationalen Handballteams braucht man gar nachzudenken. Schon die Kaderliste von BM Benidorm verschafft hier Klarheit: Neben einem jüngeren, spanischen Kern sind Spieler aus Serbien, Portugal, Chile, Slowenien, Montenegro, Argentinien, Brasilien und Kuba vertreten. Mitten drunter ein alter Bekannter: Emilio Feuchtmann zog die Fäden im Westwien-Spiel, ehe er über VFL Gummersbach, Istres Provance in Frankreich und Ademar Leon heuer bei CB Benidorm landete. Benidorm-Durchschnittsalter knapp 30 Jahre, Durchschnittsgröße knapp 1,90. Mit anderen Worten: Die FIVERS sind durchschnittlich wesentlich jünger und weniger routiniert (23,5 Jahre), zudem durchschnittlich kleiner. Die Frage nach dem „international“ erübrigt sich, vor mehr als einem Jahr hat mit Doruk Pehlivan der letzte Legionär die FIVERS in Richtung Kielce verlassen.
DER FIVERS-FUNKE GLÜHT. Trotzdem glauben die FIVERS an den berühmten Funken einer Chance. Wenn man Benfica Lissabon in zwei Spielen besiegen kann, dann kann man auch Benidorm bezwingen. Auch wenn Benidorm wie zuvor Benfica klarer Favorit ist. Noch vor etwas mehr als einem Monat befanden sich die Margaretner aufgrund einiger Corona-Fälle im COVID-Lockdown mit einer schmerzhaften zweiwöchigen Unterbrechung der Vorbereitung. Die Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation hat aber zu einem neuen, ganz starkes Wir-Gefühl innerhalb des FIVERS-Teams geführt.
Am 22.9.2020 erfolgt der Auftakt in Spanien. Benidorm hat das Heimrecht im ersten Spiel, will da natürlich alles für den Aufstieg klar machen. Am 29.9.2020 gibt es dann in der Sporthalle Margareten das Rückspiel. Für dieses gibt es aus heutiger Sicht ein einziges Ziel: Aufgrund eines achtbaren Ergebnisses bei Benidorm will man die Chance zum Aufstieg in die Gruppenphase der EHF European League bis zur letzten Sekunde in der Hollgasse wahren. Ob die ganz große Sensation gelingt, ist fast schon nebensächlich: Was zählt, ist der Einsatz dafür, ist der Glaube an das eigene Potenzial.
Mit anderen Worten: Der FIVERS-Funke glüht, vielleicht wird am 29. September 2020 ein Handballfeuer entfacht.
Peter Eckl, FIVERS-Trainer: „Die Spanier sind stark besetzt, besitzen praktisch zwei vollwertige Blöcke, die jedes österreichische Team vor große Probleme stellen können. Auf der einen Seite die internationale, sehr routinierte Auswahl an vielen Teamspielern aus acht verschiedenen Ländern. Dazu gibt es eine jüngere spanische Garde, die stets Vollgas geht. Wir fahren nach Spanien, um dieser sehr interessanten Mischung zu zeigen, dass unser Österreich-Team zurecht in der letzten Qualirunde vor der Gruppenphase steht. Wir wollen überraschen, wollen alles für einen großen Showdown bei uns zu Hause in Wien geben. Wir haben nichts zu verlieren, wir freuen uns auf dieses Spiel.“
EHF European League – FIVERS vs. BM Benidorm (ESP)
Hinspiel in Benidorm (ESP)
Dienstag, 22.9.2020 ab 20:40 Uhr live auf ORF SPORT+
Rückspiel in Sporthalle Margareten, Hollgasse 3
Dienstag, 29.9.2020, 18:45 Uhr, ebenfalls live auf ORF SPORT+
Tickets für das Rückspiel sind seit kurzem verfügbar: